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Roman von Walter Wosp
 
  
 
 
 
 

 
 
DIE OPERATION

»Sind Sie wach?«

Ich mache die Augen auf, sehe nur die Decke eines unbekannten Raumes. Dann beugt sich ein Gesicht über mich, ich kenne es, weiß aber momentan nicht, wo ich es einordnen soll. Das Gesicht erkennt meine Verwirrung, es sagt: »Ich bin Dr. Schneyder, ich bin der leitende Chirurg.«

»Ja, ich kann mich wieder an Sie erinnern, wie geht es mir?«

»Nicht sehr gut, das Ödem im Rückenmark hat sich nicht rückgebildet, es ist im Gegenteil größer geworden.«

»Was bedeutet das?«

»Wir sollten operieren.«

»Und was bedeutet das?«

»Wir sollten die entsprechenden Wirbel aufschneiden und auseinander spreizen. Dann hat das Ödem Platz um sich auszudehnen und mit etwas Glück bildet es sich dann wieder auf eine normale Größe zurück.«

Ich denke einen Moment nach. »Sie sagen, wir sollten operieren, warum haben Sie noch nicht operiert, wenn es Ihrer Meinung nach notwendig ist?«

»Ich muss fragen, ob Sie mit der Operation einverstanden sind.«

Ich schaue ihn an. »Wie soll ich das entscheiden, Sie sind der Arzt. Sie müssen wissen, was richtig ist.«

»Ich muss Sie, wenn Sie bei Bewusstsein und handlungsfähig sind, aus rechtlichen Gründen fragen ob Sie Ihre Zustimmung zur Operation geben.«

»Wie soll ich das, ich muss mich doch darauf verlassen können, dass sie das Richtige machen.«

»Ja, die Situation ist aber trotzdem so, dass ich Sie fragen muss.«

»Und was würden Sie machen, wenn ich die Operation ablehne?«

Er schaut mich nachdenklich an, runzelt die Stirn und sagt schließlich leise: »Dann wäre ich der Meinung, dass Sie nicht klar bei Bewusstsein sind und würde selbst entscheiden müssen und würde Sie operieren.«

Jetzt schlucke ich. »Wenn ich Sie richtig verstehe, ist also die einzige Alternative eine Operation?«

»Nach dem derzeitigen Stand, ja.«

»Sie sagen, derzeitiger Stand, es gibt also doch eine andere Möglichkeit?«

Er schaut mich lange an, dann: »Ich fürchte, nur wenn wir an ein Wunder glauben. Realistisch ist, dass sich das Ödem weiter vergrößert und immer stärker gegen die Knochen drückt.«

»Und was bedeutet das?«

»Wenn wir nicht operieren und Sie viel Glück haben, und sich das Ödem nur noch ein bisschen vergrößert, bleiben Sie für immer gelähmt, wenn Sie Pech haben, bzw. wenn sich das Ödem so weiter vergrößert, wie wir glauben, dann sterben Sie.«

›Wenigstens sagt er es gerade heraus‹, denke ich. ›Scheiße, Scheiße, Scheiße.‹ Nur eines verstehe ich nicht. »Warum haben Sie dann nicht gleich operiert, wie ich noch bewusstlos war?«

»Wir haben so lange wie möglich gewartet, um zu schauen, wie sich die Sache entwickelt, außerdem ist natürlich auch die Operation nicht ganz ungefährlich.«

›Nicht ganz ungefährlich, hmmm ...‹. »Was kann passieren?«

»Ich will und muss ganz ehrlich sein. Jede Operation am Rückenmark ist gefährlich. Wenn etwas schief geht, bleiben Sie gelähmt, wenn etwas sehr schief geht, können Sie auch sterben.«

Ich schaue ihn erschrocken an, momentan hat es mir die Sprache verschlagen.

»Ich kann Sie aber etwas beruhigen, mir ist bei dieser Operation noch kein Patient gestorben.«

»Das beruhigt mich ungemein«, sage ich und versuche ein Lächeln, das grandios missglückt.

»Ich will Sie nicht drängen, aber wir müssen jetzt zu einer Entscheidung kommen.«

»Kann ich noch meine Frau verständigen?«

»Ja, aber es wird keine Zeit sein, dass Sie noch herkommt, wir sollten so schnell wie möglich operieren.«

»Es ist also wirklich ernst?«

Er nickt.

»Sie sind der Meinung, wir müssen unbedingt operieren?«

»Ja.«

»Sie glauben, ich überlebe die Operation?«

»Das glaube ich ganz fest.«

»Sind Sie ein guter Chirurg?«

Er denkt einige Sekunden nach.

»Ja.«

»Wie lange sind Sie schon im Dienst?«

»Seit 14:00 Uhr.«

»Sind Sie ausgeschlafen?«

»Ja.«

»Haben Sie gestern etwas getrunken?«

Er schmunzelt. »Nein.«

Ich schlucke noch einmal und hole tief Luft. »Dann operieren Sie.«