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Roman von Walter Wosp
 
  
 
 
 
 

 
 
DER UNFALL

>Das Blut ist viel dunkler als im Kino.< Das ist mein erster Gedanke. Ich sehe unscharf meinen Nasenrücken, davor etwas Nasses. Im Nassen, überdeutlich zu sehen, in Großaufnahme, einen kleinen Stein. Der Stein ist schwarz, um den Stein ist eine dunkelrote Flüssigkeit. Ich habe keinen Zweifel, dass es Blut ist, keine Ahnung, warum ich so sicher bin. Undeutlich erkenne ich, dass sich auf meinem Nasenrücken etwas bewegt, etwas Rotes kriecht langsam in Richtung Stein. >Meine Nase blutet<, grüble ich, langsam, wie in Zeitlupe. >Nein, das Blut rinnt nicht aus der Nase, es rinnt über die Nase<, denke ich überrascht ein paar Sekunden später. >Irgendetwas stimmt nicht<, sinniere ich und mache die Augen zu, ich bin so müde.

»Nau, servas, des wor a Klescha«, höre ich im breitesten Ottakringer Dialekt.

»Lebt er?« fragt eine zweite Stimme.

»Ka Aunung, bewegen tuat er sie net.«

Ich realisiere, dass die Beiden über mich sprechen. Mühsam öffne ich wieder die Augen.

»Jetzt hot ah die Augn aufgmocht.«

»Gott sei Dank.«

Der Fleck vor meiner Nasenspitze ist noch immer da. >Warum ist das Blut so dunkel?< geht es mir durch den Kopf. >Asphalt<, schießt es mir ein. >Ich liege auf der Straße. Nur warum? Was mach ich mit dem Gesicht auf einer Straße?< überlege ich schwerfällig. Die ersten Gedanken, völlig ruhig, ohne Panik. Ich liege auf dem Bauch, auf rauem, dunkelgrauen Asphalt und vor mir ist eine Blutlache, langsam wird sie größer, interessant, aber was soll´s. Ich liege eben auf der Straße, was kümmert es mich.

Ich versuche, mir mit der Hand das Blut von der Nase zu wischen. Ich merke, dass ich meinen Arm nicht bewegen kann, sehe aber nicht, was mich hindert, ihn zu bewegen. >Ist auch nicht sooo wichtig<, denke ich, >so viel Blut ist es auch nicht.< Plötzlich, eine Idee. Ich mache das linke Auge zu, gut, wenigstens das funktioniert. Linkes Auge wieder auf, rechtes Auge zu. Die Nase springt auf dem Asphalt herum, der linke Nasenflügel hat einen tiefen Kratzer, von dem eine rote Spur zur Nasenspitze führt. Rechtes Auge auf, linkes zu. Die Nase hüpft einen Sprung nach links, der rechte Nasenflügel ist unverletzt, kein Blut auf dieser Seite der Nase. Der kleine Stein vor der Nasenspitze hüpft mit. Das ist lustig, rechtes Auge zu, Blut, linkes Auge zu, kein Blut, ein Stein. Ich lasse die Nase ein paar Mal hin und her springen. Nur langsam realisiere ich, dass ich den Nasenbügel meiner Brille nicht sehe. Ich sehe so weit wie möglich nach unten. Ich kann den Rand der Brille nicht sehen, ich bewege meine Augäpfel nach oben, wieder ist kein Rand zu sehen. >Meine Brille ist weg. MEINE BRILLE IST WEG!< Das macht mir jetzt wirklich Kopfzerbrechen, ohne die Augengläser bin ich halb blind. Ich suche die Brille, versuche, den Kopf zu drehen. Es geht nicht, ich habe keine Kraft. >Was soll´s, ist die Brille eben weg, wird schon irgendwo auftauchen. Ich bin so müde.< Ich will nur noch liegen und mich erholen, schlafen.

»Wir müssen ihn da wegziehen.«

»Na, los eam liegn, waun er wos mitm Kreiz hot, moch mas nur schlimma.«

»Wir können ihn da nicht liegen lassen.«

»Oida, greif eam net au. I hob an erste Hülfe Kurs gmocht, I sog, los eam liegn«.

Eine dritte Stimme: »Ich habe schon angerufen, sie kommen jeden Moment.«

›Wer kommt? Wen hat er angerufen? Was soll das Ganze? Ich gehe jetzt nach Hause, warum liege ich da überhaupt? Wenn das mein Blut wäre, müsste ich ja Schmerzen haben, habe ich aber nicht. Es tut nichts weh, ich spüre nichts, na also, wo ist das Problem? Ich spüre nichts. ICH SPÜRE NICHTS, ich spüre überhaupt nichts. Irgendetwas stimmt nicht‹, schießt mir ein.

Alles ist angenehm warm. Das Stimmengewirr wird leiser, blendet weg, auch die Geräusche der Autos werden leiser, es wird still.