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Roman von Walter Wosp
 
  
 
 
 
 

 
 
WUNDERHEILER

Ich drehe mich auf den Bauch. Enrico murmelt etwas auf spanisch, Frau Micheluzzi übersetzt.

»Enrico sagt, Sie haben Probleme mit dem Rückenmark.«

›Gut erkannt‹, denke ich, ›mit einer 15 Zentimeter langen Narbe am Rücken‹ und sage: »Stimmt, ich habe einen Unfall gehabt.«

Ich höre den Heiler wieder murmeln, diesmal schließt sich aber keine Übersetzung an.

»Was hat er gesagt?«

»Es wird nicht einfach, meint Enrico.«

»Was glaubt er? Kann er mir helfen?«

Gemurmel, dann: »Ja, Enrico glaubt schon, dass er etwas machen kann, es kann aber länger dauern.«

»Fangen wir einmal an«, sage ich.

»Stört es Sie, wenn sich Frau Zabrana in das andere Bett legt?«

»Nein«, sage ich überrascht.

Enrico kommt an meine Seite, streicht mir ein paarmal über den Rücken und murmelt wieder.

»Sie müssen fest an Gott glauben, sagt Enrico. Fest daran glauben, dass Gott Ihnen hilft. Dann wird er Ihnen auch helfen.«

Am liebsten würde ich aufstehen und gehen. Wenn es ohnehin reicht, dass ich nur an Gott glauben muss und er mir dann hilft, was mach ich dann hier in einem Bett in Dornbirn und zahle 1.200 Euro? Meine durch Wochen mühsam aufgebaute Autosuggestion bekommt einen ersten Riss.

»Natürlich wird Enrico mithelfen«, höre ich Frau Micheluzzi ein paar Sekunden später.

›Na also, gerade noch die Kurve gekriegt‹, denke ich und versuche den Riss zu kitten.

Ich höre, wie der Heiler zum anderen Bett geht. Was er macht, sehe ich nicht, mein Kopf ist nach links gedreht, Richtung Fenster, weg vom anderen Bett. Etwas später kommt Enrico wieder zu mir. Ich spüre, dass er meinen Rücken streichelt, dann höre ich ein metallisches Schnappen und spüre einen leichten Schmerz.

»Enrico macht jetzt kleine Schnitte auf Ihrem Rücken und holt Stoffe, die Sie blockieren heraus«, höre ich Frau Micheluzzi. »Schauen Sie«, sagt sie einen Moment später.

Ich öffne die Augen und sehe, wie mir der Heiler einen kleinen Plastikbecher vor das Gesicht hält. Ich kenne diese ungefähr drei Zentimeter hohen durchsichtigen Becher aus dem Reha-Zentrum. Dort waren im Becher Tabletten, jetzt ist er dreiviertel voll mit Blut. Enrico sagt mit starkem Akzent: »You see the white particles?«

Ich sehe nichts, gebe ein nichtssagendes »Mhhm« von mir.

»It is good, I clean your blood.«

»Er reinigt Ihr Blut, er holt schlechte Stoffe aus Ihnen raus«, übersetzt Frau Micheluzzi.

»Ich habe ihn schon verstanden«, sage ich. Ich höre noch ein paarmal das metallische Geräusch, dann geht Emilio wieder zum anderen Bett. Ich höre in mich, ob ich irgendeine Reaktion spüre, und konzentriere mich darauf zu glauben, dass das, was er macht, wirklich wirkt. Nach einer gefühlten Minute kommt er wieder zu mir und setzt seine Tätigkeit fort. Mittlerweile habe ich mich an den kleinen Schmerz des Schnittes gewöhnt, es ist nicht mehr unangenehm. Am Ende der sechsten Behandlung zeigt mir der Heiler wieder einen Becher mit Blut.

»You see? Much little particles. Blood more clean«, sagt er zufrieden.

Ich sehe keinen Unterschied zum ersten Becher, »Mhhm«, mache ich wieder.

»Sie können sich jetzt anziehen«, sagt Frau Micheluzzi. »Wie geht es Ihnen?«

»Müde bin ich.«

»Am besten, Sie legen sich etwas nieder. Ihr Körper ist durch die vielen kleinen Verletzungen und den Blutverlust geschwächt. Aber das wird schon wieder, in ein paar Stunden sind Sie wieder fit.«

»Gesund auch?«

»Enrico hat gesagt, dass es länger dauern wird, ich glaube aber schon, dass es Ihnen am Mittwoch sehr viel besser gehen wird. Passt Ihnen morgen um zehn und 14 Uhr?«

»Ja«, antworte ich.

Dann will sie 300 Euro von mir. Ich sage ihr, dass ich eigentlich damit gerechnet habe, dass ich alles am Ende der Behandlung zahle, sie sagt, dass es üblich ist, gleich zu zahlen, ich sage, dass in zehn Minuten meine Frau mit dem Geld kommen wird. Nach kurzem Zögern sagt sie stirnrunzelnd, dass ihr das Recht ist. Während wir reden, kommen bereits die nächsten zwei Patientinnen.

»Na, gehen wir joggen?« fragt Julia, sobald ich ins Zimmer komme.

»Morgen. Heute bin ich zu müde.«

»Hat es was genutzt?«

»Viel spüre ich nicht«, sage ich, »außer dass ich hundemüde bin.«

Julia fragt mich, was Enrico gemacht hat, ich gebe ihr eine Kurzfassung. Dann sage ich, dass ich mich ein bisschen niederlegen will, ich bin wirklich müde.

»Okay, ich gehe noch spazieren.«

Ich sage Julia, dass sie bitte 300 Euro abheben soll, wenn sie bei einem Bankomat vorbeikommt und sie dann Frau Micheluzzi bringen soll.

»300? Ich dachte 50 kostet eine Behandlung?« sagt sie verwirrt.

Ich erkläre ihr den Unterschied zwischen Behandlung und Einheit.

»Warum wundert mich das nicht wirklich?« sagt Julia.

»Was meinst du?«

»Hast du nicht gesehen, wie die Frau ausgeschaut hat?«

»Sie ist viel zu jugendlich angezogen.«

»Das meine ich nicht. Ich meine ihre Augen.«

»Sie schielt ein bisschen. Na und?«

»Ma, bist du blind«, sagt sie entnervt. »Die Frau hat ein Dollarzeichen in ihren Augen.«

Ich sage nichts, versuche mich zu erinnern, ob ich das auch gesehen habe, dann zucke ich mit der Achsel.

»Dir ist schon klar, dass wir 1.200 Euro ausgegeben.«

Ich nicke.

»Wenn es hilft, ist es mir auch 120.000 Euro wert.«

»Hilft es?« sagt Julia nach einer kurzen Pause.

»Ich weiß es nicht. Ich hoffe.