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Roman von Walter Wosp
 
  
 
 
 
 

 
 
UNFALLPROTOKOLL

»Nach erfolgten Belehrungen gebe ich folgendes freiwillig an:

Ich stand mit meinem Auto in der Chavannegasse, Fahrtrichtung Hinzegasse. Die Kolonne reichte von der Rankgasse zurück. Das später am Unfall beteiligte Auto war ca. 5 Fahrzeuge vor mir angehalten. Nach einiger Zeit setzte sich dann die Kolonne wieder in Bewegung. Jetzt zischte rechts am Radweg ein Radfahrer an mir vorbei. Er war ziemlich flott unterwegs.«

Ich pfeife leise durch die Zähne. »Zischte? Flott? Spinnt der?«

Julia schaut mich von der Seite an, sagt aber nichts. Wir lesen weiter.

»Ich sah jetzt, dass vorne der PKW nach rechts zur Tankstelle einbiegt, der rechte Blinker an diesem Auto war eingeschaltet. Als der PKW schon mit der Front bei der Einfahrt war krachte es auch schon, der Radfahrer fuhr gegen die rechte Seite des einbiegenden PKWs. Ob der Radfahrer vor dem Unfall noch bremste kann ich nicht sagen.«

»Ist ja auch egal, ob ich gebremst habe, oder nicht!« schreie ich. »Wichtig ist, dass das Auto eben nicht 20 Sekunden gestanden ist, bevor ich reingekracht bin«, sage ich triumphierend zu Julia.

»Zischte flott vorbei«, sagt sie und schüttelt den Kopf. »Ich hab´s ja gewusst.«

»Entscheiden ist, dass sie keine 20 Sekunden gestanden ist und nicht, wie schnell ich gefahren bin. Außerdem, was heißt schon ›flott‹?«

»Hmmm ...« sagt Julia.

»Noch ein Zeuge. Bla, bla, bla, jetzt kommt´s...«

»Als wir bei der Haltestelleninsel in der Mitte der Fahrbahn waren fuhr die Kolonne wieder los. Als wir schon am gegenüberliegenden Gehsteig waren, nächst der Tankstelleneinfahrt sah ich, wie ein Radfahrer sehr schnell am Radweg Richtung Hinzegasse fuhr. Er fuhr rechts an der Kolonne vorbei.«

»Rechts vorbei. Na und? Das darf ich ja. War ja ein Radweg«, sage ich und schüttle den Kopf.

»Sehr schnell«, meint Julia leise.

»Blödsinn«, sage ich.

»Ich habe einen Führerschein und würde die Geschwindigkeit des Radfahrers mit ca 40 km/h einschätzen.«

»Spinnt der?« sage ich fassungslos. »40 Stundenkilometer? Der ist ja verrückt, 40 Stundenkilometer!«

»Zischte ziemlich flott rechts an der Kolonne vorbei«, sagt Julia wütend. »Ich hab´s ja gewusst! Idiot!« schreit sie mich an.

»Das kann nicht sein, der redet völligen Blödsinn, Schwachsinn, völlig irre«, stottere ich. »40 Stundenkilometer! Weißt du, wie schnell das ist? 40 Stundenkilometer ist die Durchschnittsgeschwindigkeit von einer Tour de France Etappe. So schnell bin ich in meinem Leben nicht gefahren«, sage ich, noch immer entgeistert.

»Aber im Unfallprotokoll steht es und das ist entscheidend.«

»Nein«, sage ich überlegen. »Entscheidend ist, was das Gericht sagt, und das hat geurteilt, dass sie schuld ist.«

»Und warum hat dann der Anwalt gesagt, dass für die Schuldfrage bei der Versicherung wichtig ist, ob du die Regeln eingehalten hast?«

»Habe ich ja!« schreie ich.

»Zischte ziemlich flott rechts an der Kolonne vorbei«, wiederholt Julia. »Mit 40 Stundenkilometern ...«

»Na und? Wo ist das Problem? Das darf ich alles!« brülle ich.

»Und wie ist das mit ›Auf Sicht fahren?‹ Gilt das für Radfahrer nicht?« kreischt sie zurück.

Ich bin plötzlich sehr still.

»Das meint der Anwalt wahrscheinlich wegen Teilschuld oder nicht. Und wenn du Teilschuld hast, dann schaut die Sache ziemlich blöd aus«, sagt Julia wieder ruhig. »Und vor allen Dingen teuer«, setzt sie nach ein paar Sekunden fort.

»Was meinst du?« frage ich begriffsstutzig.

»Na, angenommen du hast zehn Prozent Mitschuld, dann wird die Versicherung wahrscheinlich nur 90 Prozent übernehmen«, sagt sie leise.

»Scheiße, der sündteure Laptop«, sage ich spontan.

»Der Laptop, der Laptop. Hast du keine anderen Sorgen? Der Aufzug, das Badezimmer, was weiß ich, was das noch betrifft?« sagt sie verzweifelt. »Bei zehn Prozent Teilschuld sind das alleine rund 30.000 Euro. Und bei 20 Prozent ...«