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Roman von Walter Wosp
 
  
 
 
 
 

 
 
ZÜRICH

Pünktlich um 10:00 Uhr bittet mich die Empfangsdame in den Untersuchungsraum. Ein Arzt, er stellt sich als Dr. Angerer vor, nimmt mich in Empfang.

»Ich mache vorerst die Untersuchung, Professor Plancton kommt später dazu.«

Ich nicke, er bittet, dass ich mich auf die Liege lege und mich dann unten freimache.

»Wollen Sie das Kondom selbst abnehmen oder soll ich?« fragt mich Dr. Angerer.

»Ich mache das schon selbst«, antworte ich und werfe es in einen Kübel, der neben dem Bett steht.

»Ich führe Ihnen jetzt einen Katheter ein, es kann sein, dass das kurz etwas unangenehm ist.«

Mir kommt der Satz bekannt vor, Erinnerungen an das Reha-Zentrum werden wach, ich sage aber nichts, nicke nur mit dem Kopf. Dr. Angerer zieht Handschuhe an, reißt die sterile Verpackung auf, nimmt einen Schlauch aus der Hülle, verteilt etwas Gleitmittel auf dem Schlauch, nimmt mit einer Hand mein Glied und steckt mit der anderen den Katheter in meinen Harnleiter. Es funktioniert beim ersten Mal, der Schlauch rutscht in mein Glied, der Schmerz hält sich in Grenzen.

»Ich fülle jetzt die Blase mit einer Infusionslösung und messe den Druck innerhalb der Blase.«

»Ich weiß, ich habe das schon öfter gemacht.«

»Na dann wissen Sie ja, dass es gleich vorbei ist.«

Ich nicke. Dr. Angerer schaltet das Gerät ein, es ist ein anderes als das im Reha-Zentrum. Das Display am Gerät wird hell, Dr. Angerer drückt auf einen Knopf, auf dem Monitor erscheint eine horizontale Linie. Nach ein paar Sekunden schüttelt Dr. Angerer verwirrt den Kopf.

»Was ist?«

»Nichts, alles in Ordnung«, sagt er, aber ich merke, dass er verunsichert ist.

Er drückt einen anderen Knopf, die Linie verschwindet. Dr. Angerer überprüft den Kontakt des Schlauches, schüttelt den Kopf und drückt nochmals den ersten Knopf. Die horizontale Linie erscheint, sonst passiert nicht allzu viel.

›Das darf nicht wahr sein‹, denke ich. ›Ich fliege extra nach Zürich und das Scheißding funktioniert nicht.‹ »Kaputt?« frage ich und höre, dass meine Stimme zittert.

»Hmmm«, bekomme ich als Antwort.

Dr. Angerer zieht den Kontakt des Schlauches aus dem Gerät, schaut ihn prüfend an und steckt in wieder in das Gerät. Dann beendet er das Diagnoseprogramm auf dem Laptop, der an das Gerät angeschlossen ist. Einen Augenblick später startet es das Programm neu. Nach ein paar Sekunden erscheint das gewohnte Bild auf dem Laptop Monitor.

»Funktioniert es nicht?«

»Einen Moment, bitte.«

Dr. Angerer verlässt den Raum. Ich liege auf dem Rücken und überlege, ob ich träume oder das wirklich erlebe. Nach ein paar Minuten betritt Dr. Angerer den Raum.

»Ich musste nur bei einem Techniker rückfragen. Jetzt sollte aber alles in Ordnung sein.«

Er fährt den Laptop runter, zieht das Verbindungskabel zum Gerät heraus, dann steckt er es wieder rein und startet den Laptop neu. Er gibt den Usernamen und das Passwort ein. Der Windows Desktop erscheint und Dr. Angerer startet das Untersuchungsprogramm. Dann drückt er den Knopf auf dem Untersuchungsgerät. Die Linie glüht auf, macht aber keinen Ausschlag. Dr. Angerer schüttelt ungläubig den Kopf. Er klopft mit den Knöcheln seiner Hand auf das Gerät. Ich unterdrücke ein Lachen, es wäre ohnehin ein sehr verzweifeltes geworden. Dr. Angerer greift zum Telefon.

»Ich fürchte, sie müssen kommen.«

»Was funktioniert nicht?« höre ich leise aus dem Telefonhörer.

»Ich weiß es nicht. Gestern ist es noch gegangen.«

Meine Lieblingsantwort, ich unterdrücke ein hysterisches Lachen. »Hast du schon gehört, Franz ist tot.« »Gibt´s doch nicht, ich habe doch noch vorige Woche mit ihm telefoniert.« »Schau mal, der Fernseher hat plötzlich kein Bild mehr.« »Gibt´s doch nicht. Gestern war noch alles in Ordnung.« Ich hasse diese Sätze, aber am meisten hasse ich Dr. Angerer, seine Geräte, die Klinik und mein Leben im Allgemeinen.

»Es tut mir wirklich leid, ich weiß nicht, warum es nicht geht.«

Auch diesen Satz habe ich schon gehört.

»Und jetzt?«

»Professor Plancton muss jeden Moment kommen.«

Und wirklich, ein paar Sekunden später geht die Tür auf und ein ungefähr 1,70 Meter großer Mann in weißem Mantel erscheint. Er ist zirka 40 Jahre alt, schlank, hat braune Haare mit ein paar grauen Strähnen.

»Professor Plancton«, stellt er sich vor, gibt mir aber nicht die Hand. »Was geht nicht?«

Dr. Angerer erklärt ihm, was er gemacht hat, unterbrochen von ein paar »Hmmms« des Professors.

»Ich glaube, ich muss urinieren«, unterbreche ich das Gespräch.

Dr. Angerer zieht den Schlauch aus meinem Penis und hält mir eine Flasche unter. Ein paar Sekunden später bin ich fertig, er tupft mein Glied trocken und will den Katheter wieder einführen.

»Warten wir lieber, bis das Gerät wieder funktioniert«, sage ich und halte meine rechte Hand schützend vor meinen Penis.

Dr. Angerer schaut zum Professor, dieser nickt zustimmend. Er überprüft alle Kontakte, fährt den Laptop runter, startet ihn neu, kurz, er macht genau das, was Dr. Angerer auch schon gemacht hat.

»Hmmm«, sagt er fassungslos. »Ich lasse jetzt noch ein Testprogramm laufen, ich hoffe das gibt uns Aufschluss.«

›Gibt uns Aufschluss‹, wiederhole ich in Gedanken.

Auf dem Monitor sind einige Zeilen Text zu sehen, ich bin zu weit weg um sie lesen zu können. Professor Plancton schüttelt resigniert den Kopf.

»Nein, ich kann keine Fehler erkennen. Tut mir leid. Wir müssen hier abbrechen.«

»Und ich fliege wieder nach Hause?« sage ich konsterniert.

»Nein, die Besprechung machen wir auf jeden Fall. Nur ohne die Untersuchung kann ich nicht sagen, ob Sie als Patient infrage kommen.«

»Ja, aber genau diese Untersuchung können wir ja nicht machen«, sage ich verzweifelt.

»Können Sie sie in Wien machen lassen?«

»Ja, natürlich. Ich habe ja auch vor Kurzem eine machen lassen, aber Ihre Assistentin hat gesagt, dass Sie die selbst vornehmen müssen.«

Professor Plancton denkt einige Sekunden nach. »Aber Sie wollen doch sicher nicht noch einmal nach Zürich fliegen?«

»Sicher nicht.«

»Wann wurde die Untersuchung gemacht?«

»Vor ungefähr zwei Monaten.«

»Das ist schon sehr lange. Können Sie noch eine Aktuelle machen lassen und mir das Ergebnis schicken?«

»Na, sicher«, sage ich erleichtert.

»Gut, dann machen wir es so. Ich muss mich noch einmal entschuldigen, dass das Gerät nicht funktioniert hat, aber ...«

»Ist schon gut«, unterbreche ich, bevor er »aber gestern war es noch in Ordnung« sagen kann.